Tourenleiter: Daniel Forrer, Wintertourenchef SAC-Homberg
Datum: 05.-07.05.2016
Eine 4000er-Tour im SAC-Homberg! – dieses Highlight schreit nach einem etwas ausführlicheren Tourenbericht – bitte verzeiht die weder prosaische noch den Regeln der Berichtschrift entsprechende Erzählweise.
Los geht’s!
4000er – das hehre Ziel vieler Alpinisten! In der Schweiz mancherorts wunderbar teilerschlossen mit technischen Aufstiegshilfen und Halbpension in hotelartigen SAC-Hütten. Easy, locker so ne Besteigung könnte man(n) meinen! Nur die halbe Wahrheit sage ich!
Verglichen mit den „Alten Zeiten“ – by fair means in Bergsteiger-Neudeutsch – scheint die Besteigung eines technisch moderaten 4000ers mit heutigen Mitteln ein Spaziergang zu sein. Dagegen spricht, dass heute viele Alpinisten leider oft nur noch einen Bruchteil der Zeit zur Verfügung haben, welche die alten Haudegen brauchten, um die richtig grossen Gipfel in den Alpen zu erarbeiten. Anstatt sich ein paar Tage für einen Gipfel Zeit zu nehmen, inklusive Zufahrt mit dem Velo, Aufstieg aus dem Tal ins Biwak, Gipfel retour, und runter ins Tal mit anschliessender Velofahrt heim (ja so soll es gewesen sein!), fährt der Alpinist heute so weit ihn die Verbrennungs- oder Elektromotoren tragen können in die Höhe, um innert zwei Tagen auf dem ersten 4000er zu stehen. Das sich dabei die Physik (abnehmende Luftdichte) und Zellbiologie (körperliche Kompensation eben dieser abnehmenden Luftdichte) nicht aushebeln lassen (das gehört sich dann doch erst ab 8000m) geht oft etwas vergessen.
So kam es denn auch, dass sich Schreibender in der steilen Rampe am Alphubel folgende Fragen stellte:
Was ganz genau tust du eigentlich hier? Warum genau tust du dir das an?
Zugegeben – zwei Fragen die womöglich manchem von euch ein müdes Lächeln abringen. Der Arme – am Alphubel am kämpfen. Doch ganz genau so war es.
Doch der Reihe nach.
Am 05.05.2016 sammeln wir uns in Täsch (1450m.ü.M.). Zu acht nehmen wir Platz im Alpentaxi, das uns mit lauten Kratzgeräuschen und schleifender Kupplung die schmale Bergstrasse Richtung Eggenstadel (1913m.ü.M.) hochkurbelt. Beim Täschbach gilt es umzusteigen auf manuellen Betrieb – wir montieren die Felle und gleiten los. Nach wenigen hundert Metern schultern die einen aus Schneemangel die Skier – andere nicht. Bei bestem Wetter mit Blick aufs Horu und andere Walliser Berühmtheiten (ich meine nicht Sepp!), erreichen wir die Täschhütte (2701m.ü.M.). Das (Büchsen)-Bier aus dem Bündnerland nähe Chur fliesst und die Mittagsverpflegung aus der Küche deutet auf einem angenehmen Aufenthalt hin. Beim Znacht dann die grosse Ernüchterung – die reduzierte Begeisterungsfähigkeit des Hüttenverantwortlichen scheint sich auch auf die Menü-Gestaltung niederzuschlagen. Im Hinblick auf die Grossleistung des kommenden Tages wird dennoch tapfer reingeschaufelt.
06.05.2016, 0400 Uhr: Ein walliserisches Güete Morgu überrascht die einen, andere sind froh das die Nacht endlich vorüber ist.
Nach einem effizienten Start – mit lustigem nächtlichem Skistocktällerli suchen inklusive – steigen wir rassig in Richtung Alphubel. Nach der ersten Pause beschweren sich die ersten Mägen über das unmotivierte Nachtessen, was zu weiteren, individuell gestalteten Zwangspausen führt. Über den Alphubelgletscher geht es hoch Richtung Alphubeljoch (3771m.ü.M.). Es liegen erst rund 1000 Höhenmeter hinter uns da bemerke ich einen akuten Leistungseinbruch meinerseits. Zwar leide ich glücklicherweise nicht an explosionsartiger Darmentleerung doch schenkt das Gewicht meiner Kamera einfach zu sehr ein. Glücklicherweise haben wir unglückliche Patrouille-de-Glacier-Nicht-Patrouilleure in unserem Aufstiegsteam, die nach Zusatzlast in Form meines Seiles lechzen.
Die steile Schlussrampe des Alphubels beginnt und meine Nerven sind zum zerreissen gespannt – meine Spiegelreflexkamera bambelt noch immer bleischwer am Hals und schlägt dabei immer wieder auf das hart arbeitende Zwerchfell. Mir ist speiübel. Plötzlich drängen sich mir die anfangs erwähnten Fragen auf:
Was ganz genau tust du eigentlich hier? Warum genau tust du dir das an?
Einige Flüche später, die Kamera im Rucksack verstaut und gefühlte 10 Kilo leichter um den Hals weiss ich die Antwort:
Es nützt alles Jammern nichts, 4000er wollen und müssen noch immer erarbeitet werden! Paaa! – wäre ja gelacht diese paar hundert Höhenmeter nicht meistern zu können!
Neues Selbstbewusstsein durchflutet meine Hirnwindungen und gibt mir wieder Kraft auch andere motivieren zu können – so geht das! Zu guter Letzt will es der Alphubel nochmals richtig wissen, selbst Teilnehmer mit fast legendenartiger Fitness ringen gierig nach Luft und hängen in den Stöcken – womöglich kämpfen sie insgeheim mit dem vorabendlichen kulinarischen Tiefflug.
Auf Tiefflüge folgen wie meist Höhenflüge. Begeistert gratulieren wir uns auf dem 4206m hohen Gipfel des Alphubels.
Die Abfahrt über den zerschrundenen Feegletscher erweist sich als etwas tückisch. Links und rechts öffnen, bzw. verstecken sich gewaltige Spalten und ungemütliche Abstürze. Zielsicher steuert uns Dani zuerst über die riesige Ebene am Gipfelfuss des Alphubels, um dann etwas steiler eine Spaltenzone zu queren die im Sommer wohl nur mühsam passierbar ist. Wie ernst die Sache ist zeigt der glücklicherweise glimpflich verlaufene Spaltentaucher eines Bergsteigers einer anderen Gruppe. Ungefähr bei Punkt 3181 halten wir uns nach rechts und steuern die scheinbar bodenlose Senke westlich von Felskinn an. Nach einem kurzen aber sportlichen Aufstieg erreichen wir die Britanniahütte auf 3030m.ü.M.
Die Britanniahütte gleicht einem Bienenhaus – mit dem Unterschied, dass sich Bienen diszipliniert verhalten. Das Nachtessen und die Stimmung am Abend sind gut – das Hüttenteam leistet hier an solchen Tagen eine grosse Leistung. Am Morgen um 0500 Uhr ist Tagwache. Der von vielen verhasste Hüttenmorgen beginnt: 130 Bergsteigerinnen und Bergsteiger wollen scheinbar gleichzeitig Morgenessen, auf die Toilette, Zähneputzen, Skischuhe anziehen, Gstältli montieren oder einfach nur ihre Ruhe haben. Letzteres ist ein rares Gut. Wir finden es gut eingepackt hinter der Hütte im Windschatten. Während sich andere mit flatternden Fellen und genervt-gehetzten Blicken mit dem ungemütlich kalten Morgenwind abkämpfen, geniessen wir die unglaubliche Morgenstimmung vor einem schönen Tag in den Alpen – so intensiv kann Bergsteigen sein!
Mal davon abgesehen, dass ich mit meinem Sturz auf den ersten zwei Metern – die Bindung war nicht richtig zu – und einem dadurch fast verlorenen Ski im Steilhang unter der Britanniahütte für etwas Adrenalin in meinen Adern sorgte, verlief der Aufstieg Richtung Strahlhorn für alle nahezu perfekt.
Zielstrebig traversierte wir den Hohlaubgletscher und querten die weite Ebene des Allalingletschers. Kurz vor dem Adlerpass erklimmen wir die Steilstufe Richtung Punkt 3954. Die 4000er-Marke scheint mir diesmal schon fast gemütlich. Kurz vor dem Gipfel dann eine weitere Begegnung mit den heutigen Auswüchsen des Massenbergsteigens: Ein Typ sitzt mutterseelenallein auf über 4000m. Meine Frage an ihn lautet: Was er denn hier mache, es seien schliesslich keine 150 Höhenmeter mehr … . Seine Antwort ist so traurig wie ernüchternd: Die Gruppe habe beschlossen, dass sie das Tempo vor der Gipfel nochmals beschleunigen wollen und er dabei nicht mehr mit möge – er solle hier warten. Mein gedanklicher Wortlaut: W.T.F!!! – Neudeutsch für „Was läuft hier eigentlich? – sind wir alle asozial geworden oder was? – fasse ich für ihn in einem peinlich berührten Lachen zusammen.
Auf dem Strahlhorn (4190m.ü.M.) angekommen übertrifft die Aussicht alle Erwartungen. Gegen Süden erstreckt sich ein endloses Wolkenmeer zusammen mit dem Monte Rosa Massiv und sowohl im Norden als auch im Westen thront ein 4000er neben dem anderen. Die Gesichter leuchten, es werden Handschläge verteilt und Selfies gemacht. DESWEGEN gehen wir in die Berge – Mal von den Selfies abgesehen … !
Die Abfahrt auf den Findelengletscher via Adlerpass und Adlergletscher zehrt im oberen Teil an den Kräften. Obermühsamer Deckel lässt das ganze zu einer hackeligen Angelegenheit werden. Nach der Steilstufe vom Adler- auf den Findelengletscher dann das WOW-Erlebnis: Wie von Sinnen rasen wir über das sanfte Gefälle des perfekt aufgesulzten Findelen. Auf dieser gewaltigen weissen Fläche ohne die geringsten Anzeichen anderer Bergsteiger liegt das Bienenhaus Britanniahütte in der Erinnerung bereits wieder weit zurück. Wir geniessen den Augenblick und bahnen uns im Gletschervorfeld eine Spur bis uns der Schnee im Stich lässt. Bei frühlingshaften Temperaturen montieren wir die Skier an die Rucksäcke, um die nächsten vier Kilometer im Stechschritt durch wunderbar duftenden Arven-Lärchenwald Richtung Station Riffelalp zu wandern.
Bei Bier und Pizza lassen wir die Tour in Zermatt ausklingen – DESWEGEN tun wir uns das an 😉